Die Kirchenbänke in der St. Matthiaskirche [1]

Das es über die Kirchenbänke von St. Matthias interessantes zu berichten gibt, verdanken wir unserer Kirchengeschichte und Dr. Klaus Heineman. Er fand die Ereignisse zwischen 1862 bis 1865 derart interessant, das er darüber in den Heimatblättern des Soester Anzeigers einen lebendigen Bericht veröffentlichte:

Privateigentum – ja oder nein?

 Die Geschichte der „Umstuhlung“ in der evangelischen Kirche zu Meiningsen (1862–1865)

Die Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der Provinz Westfalen und der Rhein– Provinz vom 5. März 1835 hatte endgültig die Vertretung der Gemeinde durch ein Presbyterium festgeschrieben. Daneben waren in jeder über 200 Seelen zählenden Kirchengemeinde – für uns heute unbekannt – sog. „Repräsentanten“ zu wählen, die zusammen mit dem Presbyterium die „größere Gemeindevertretung“ bildeten (§ 18). In Gemeinden zwischen 200 und 500 Seelen, wie etwa in Meiningsen, betrug die Zahl der Repräsentanten 12 (§ 19). Ähnlich wie für Mitglieder des Presbyteriums gab es auch für diese Repräsentanten Qualifikationsbestimmungen.

„Wählbar zu Repräsentanten sind diejenigen wahlberechtigten Gemeindeglieder, die einen unbescholtenen Ruf haben, einen ehrbaren Lebenswandel führen und durch Teilnahme am heiligen Abendmahle und fleißigen Besuch des öffentlichen Gottesdienstes ihre kirchliche Gesinnung beweisen.“ (§ 22)

 Wahlberechtigt waren nur die Gemeindeglieder, d.h. die Konfirmierten oder die auf ein Kirchenzeugnis hin Aufgenommenen, nicht jedoch die Eingepfarrten, deren Status lediglich durch ihren Wohnsitz begründet war.

Die größere Gemeindevertretung wählte u.a. die Pfarrer und Presbyter und bestimmte in wichtigen finanziellen Angelegenheiten (§ 18). Das alte Protokollbuch der Kirchengemeinde Meiningsen berichtet uns von einer solchen Versammlung, die am 30. März 1862 stattfand, und in der es um wichtige finanzielle – und wie wir sehen werden sehr weitreichende – Entscheidungen ging. Es war die Zeit, in der die Kirchenbänke noch Privateigentum einzelner Familien waren, deren Namen in schwarzer Schrift auf den Bänken zu lesen waren. Je größer der Besitz, desto besser war der Platz in der Kirche. Hin und wieder sind solche Bänke, heute allerdings nicht mehr in dieser Funktion, in manchen Kirchen der Soester Börde noch anzutreffen.

Einziger Beratungspunkt der o.g. Versammlung war die Erneuerung des Fußbodens und der „Bestuhlung“ in der Kirche. Doch lassen wir hier zunächst das alte Kirchenbuch sprechen.

„Praeses brachte zum Vortrag, daß der Besatz der Kirche bekannter Weise sehr schlecht sei und erneuert werden. müsse, so wie daß gleichfalls auch die Bestuhlung größtentheils mangelhaft und eine gänzliche Erneuerung derselben ebenfalls wünschenswert und nöthig sei. Die Anwesenden erkannten dies an, und sprachen sich dafür aus, daß der Fußboden der Kirche neu beseßt werden müsse. Die Kosten solle die Kirchenkasse tragen, resp. die Gemeinde und die Stadt Soest (Patronin). Der der Gemeinde zur Last fallende Betrag solle aus Grund– und Klassensteuer repartirt werden. Die Erneuerung der Bestuhlung wurde ebenfalls einstimmig für nothwendig erkannt und beschlossen, daß die Kosten von den Eigenthümern der Bänke getragen werden sollten. Weiter fand sich nichts zu verhandeln.“

Da die Repräsentanten nicht vollzählig erschienen waren, und der Vorsitzende, Pastor Geck, offenbar die weitreichende Bedeutung dieses Beschlusses erkannt hatte, fügte er dem Protokoll vorsichtshalber noch hinzu: „Daß der Kirchenvorstand sich in beschlußfähiger Anzahl versammelt hatte, wird hiermit bestätigt.“

 
Vor zehn Jahren wurden die alten Holzbänke in der Kirche zu Meiningsen, um die es vor 125 Jahren einen heftigen Streit gegeben hatte, erneuert. Das Bild zeigt den Zustand des Kircheninneren vor 1980, als die Bankreihen noch zweigeteilt waren. Foto: Privatarchiv


Eine der ältesten Bördekirchen ist die von Meiningsen. Der Bau ist zwischen 1050 und 1100 entstanden. In unserer Zeit wurde das südliche Seitenschiff ergänzt. Um die Frage des Eigentums an Kirchenbänken gab es im vorigen Jahrhundert einen denkwürdigen Streit. Fotos (2): Klaus Fischer

Privateigentum oder nicht?

Die Erhaltung der Kirchenbänke als Privateigentum Einzelner würde zwar durch die Übernahme der entstehenden Kosten gesichert, doch waren an dieser Abstimmung nicht alle Bankeigentümer beteiligt, was in der Zukunft Schwierigkeiten erwarten ließ, da man nicht absehen konnte, ob alle Eigentümer zur Zahlung der Unkosten und damit zum Erhalt ihres Eigentums einverstanden waren. Würde die Kirchenkasse resp. die gesamte Gemeinde die Kosten übernehmen, entlastete dieses im Augenblick den Einzelnen, allerdings unter Verzicht auf sein Eigentum und Übergang der Bänke in „allgemeinen“ kirchlichen Besitz.

Noch im Dezember des gleichen Jahres kam man in der Sache voran.

Türen gegen Zugluft

Die meisten Eigentümer von Kirchenbänken hatten bis dahin den Wunsch geäußert, „daß bei der beabsichtigten Umstuhlung die Bänke nicht offen bleiben, sondern mit Thüren versehen werden möchten,“ wie das auch bisher der Fall gewesen sei, da nur so gegen die im Winter in die Kirche eindringende kalte Luft den Kirchenbesuchern Schutz geboten würde.

Die meisten Eigentümer der Kirchenbänke hatten sich auch mit dem Beschluß vom 30. März einverstanden erklärt, doch wie erwartet, regte sich auch erster Widerstand. W. Brügger, Georg Wilms, Arn. Schümer und Arnold Brügger protestierten gegen den Beschluß, wollten die Kosten der Kirchengemeinde anlasten und forderten Bänke ohne Türen, da auch so „den jetzigen Besitzern das Eigentumsrecht keineswegs verloren“ ginge. Es sei zeitgemäßer und jetzt in vielen Kirchen auch so üblich.

Vier Bürger protestierten

Die Einwände der vier Protestierenden wurden von der Versammlung abgewiesen, „weil alle übrigen Besitzer von Kirchenbänken resp. Sitzen ihr volles Eigenthumsrecht an denselben auch für alle Zukunft bewahrt wissen wollten.“ Dem Hinweis, daß die früher entstandenen Reparaturkosten an den Bänken auch immer von den Eigentümern zur Dokumentation und Erhaltung ihres Eigentumsrechts bezahlt seien, stimmten auch die Protestierenden zu, „und fand sich überhaupt Keiner, der das Gegentheil behauptet hätte.“

Ohne endgültige Klärung der finanziellen Lage wurde im Soester Anzeiger und im Soester Kreisblatt der „Verding-Termin“ für die Umstuhlung in der Kirche auf den 7.2.1863 festgesetzt. Den „erschienenen Unternehmungslustigen“ wurden der Kostenanschlag des Baumeisters Lange aus Soest für 33 Bänke unterschiedlicher Länge und die Vorwarden (die Vorwarden waren eine Art Ausschreibung, in denen u.a. festgesetzt war, zunächst eine Probebank zu liefern, für Schäden wegen schlechter Arbeit oder schlechten Materials zu haften und nicht zuletzt vom Kostenanschlag abzuweichen) des Presbyteriums vorgelesen und bestimmt, „daß die Arbeit am 15ten August d. Jahres zur Abnahme fertig sein müsse“. Und nun rang man in Meiningsen um jeden Taler.

„Der Tischlermeister Landmann in Hamm erbot sich für die Anschlags Summe von 336 rt 28 Sgr 6 Pf. die Arbeit auszuführen, Zimmermeister Meiberg für 300 rt, W. Tecklenborg in Münster für 329 rt, Meiberg für 328 rt, Landmann für 325 rt. Da Keiner abzubieten geneigt war, wurden 4 die Verhandlungen geschlossen und dem Tischlermeister Landmann in Hamm mit dem Bemerken vorläufig der Zuschlag ertheilt, daß er so lange an sein Gebot gebunden bleibe, bis die Königl. Regierung den Verding bestätigt habe.“

Die drei Bietenden hatten das Protokoll zu unterschreiben.

Bänke werden versteigert

Der erste Schritt war der Verkauf der alten Kirchenbänke im Sommer 1863, der ebenfalls durch die o.g. Zeitungen bekannt gemacht worden war. Die „Kauflustigen“ waren acht Tage an ihre Angebote gebunden und hatten von jedem Taler des Kaufgeldes 1 Sgr „Unrathsgeld“ an den Lehrer und Rendanten Kniep zu bezahlen. Sie wurden verpflichtet, die Bänke bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abzubrechen und aus der Kirche zu entfernen. danach wurden „die Bänke, welche zu dem Ende numeriert waren, einzeln der Reihenfolge nach ausgeboten“. Die Angebote lagen zwischen 5 Sgr. und 2 rt 8 Sgt. je Bank. Der Lehrer Kniep ersteigerte die Bank Nr. 1 für 10 Sgr., Pastor Geck die Bänke 26 und 35 zu 1 rt bzw. 22 Sgr.

Am 9. Juni 1864 hatte die Repräsentantenversammlung über eine Eingabe von 40 Gemeindegliedern an den Superintendenten Schenk „die Abtretung der Kirchenbänke von Seiten der Eigenthümer und die repartirung der Umstuhlungskosten auf die ganze Gemeinde betreffend“ zu befinden. Darüber hinaus lag ihr eine Aufforderung des Superintendenten vor, die Bankangelegenheit nochmals einer Beratung zu unterziehen, da er selbst gegen den gefaßten Beschluß vom 30. März 1862 stehe. Die Sache drängte, denn der Unternehmer verlangte vom Tage der Abnahme seiner Arbeiten an 5% der Verdingsumme als Aufschlag.

Die versammelten Repräsentanten erklärten nun: „die Sache sei ihnen fremd und neu gewesen; nachher habe man aber erfahren, daß in allen neuen Kirchen die Bänke Eigenthum der Gemeinde seien, und daß auch in den meisten alten Kirchen die Umstuhlungskosten von allen Gemeindegliedern erhoben würden.“

 Probleme mit Nichtbesitzern

Die Tatsache, daß 40 Familien in der nur 470 Seelen zählenden Gemeinde keine Kirchenbänke besaßen, veranlaßte die Repräsentanten, „ihren früheren Beschluß zurück zu nehmen“. Dabei spielte eine wesentliche Rolle, daß auch die Nichtbesitzer von Kirchenbänken „von je her zu den Reparaturkosten der Kirche beigetragen hätten“. Man befürchtete nämlich, daß diese sich jetzt weigern würden, „ihre deßfalsigen Beiträge zu den Kosten für die neue Plattung des Fußbodens, auf welchem Andere ihre Bänke stehen hätten, so wie für den Anstrich der Wände, die Freibänke u. s. w. zu entrichten". Auch würden sie wahrscheinlich „späterhin keine Reparaturkosten für die Kirche, in welcher sie kein Recht hätten, bezahlen . . .; nichts sei aber unangenehmer, als sie im gerichtlichen Wege oder durch Execution dazu zu zwingen“.

Kanzel von St. Matthias

Einige Bankbesitzer widersprachen mit dem Argument, die Eingabe an den Superintendenten sei sachlich falsch dargestellt worden. Es gehe nicht darum, durch Übernahme der Umstuhlungskosten jetzt ein Eigentumsrecht zu erwerben, „vielmehr hätten sie Solches schon von jeher besessen“. Den Nichtbesitzern seien auch niemals Plätze verweigert worden, aber sie sollten dieses „nicht auf ein Recht in Anspruch nehmen“, denn 200 Sitze in der Kirche seien für 470 Seelen ausreichend. Außerdem könnten sie sich auf eigene Kosten Bänke errichten lassen. (Es wird im Protokollbuch an keiner Stelle über Preise für die Kirchenbänke berichtet. Als Vergleich möge ein Beispiel aus Hattrop dienen, das von jeher zur St.-Petri-Kirchengemeinde in Soest gehörte. Dort kaufte im Jahre 1846 ein Friedrich Bierbrod eine Kirchenbank von 3 Sitzen für 41 Taler, 2 Silbergroschen und 6 Pfennige und ließ sein Namensschild darauf anbringen. Dorfchronik Hattrop). Auch gäbe es unten in der Kirche 6 u. auf der Orgel 8 Freiplätze“. Es stellte sich aber heraus, daß die Nichtbesitzer „fast alle unbemittelt und nicht in der Lage wären, sich Bänke kaufen oder auf eigene Kosten errichten lassen zu können“.

Es ergaben sich weitere Schwierigkeiten, da die Königliche Regierung in Arnsberg inzwischen dem Beschluß vom 30. März 1862 zugestimmt und das Eigentumsrecht „aufs Neue anerkannt“ hatte; „die Beiträge wären sodann eingefordert und meistens schon bezahlt; sie könnten sich also durch die Quittungen als rechtmäßige Eigenthümer ihrer Kirchenbänke legitimiren. Eine anderweitige Repartition der Kosten herbeizuführen, sei daher jetzt zu spät.“

Kirche wurde gemieden

Die finanziellen Fragen hatten für die kleine Gemeinde unangenehme Folgen, wie die Randbemerkung Pastor Gecks im Protokollbuch belegt." . . . auch noch hervorgehoben wurde, daß Manche schon jetzt aus Verdruß die Kirche mieden, was noch zunehmen würde." Kam man also zu keiner von beiden Seiten annehmbaren Lösung, würde eine Spaltung der Gemeinde nicht zu verhindern sein.

Die Abstimmung ergab die Aufhebung des Beschlusses vom 30. März 1862 und die Repartition der Umstuhlungskosten nach Grund– und Klassensteuer auf die ganze Kirchengemeinde mit jeweils 10 gegen 5 Stimmen. Die Landwirte Jacob, Dustert und Crismann verweigerten ohne Angabe von Gründen ihre Unterschrift. War der Konflikt damit beigelegt?

Vermittlungsvorschlag

Sieben Monate später, am 28. Juli 1864, versammelten sich die Eigentümer in der Kirche und bewiesen erneut die Spaltung in zwei Lager. Die Landwirte Gerling, Jacob, Schulze in Epsingsen, Dustert, Henser, Rienhof und Isaak „wollten ihre ihnen eigenthümlich zugehörigen Bänke gegen Zahlung der Erneuerungskosten behalten“, erklärten sich jedoch mit einem Vermittlungsvorschlag eines Mitgliedes des Kreissynodalausschusses, Justizrat Hennecke, einverstanden, „einen kleinen Beitrag zu den Erneuerungskosten der an die Kirche abgetretenen Bänke“ zu leisten. Die übrigen Besitzer wollten ihre Bänke an die Kirche abtreten.

Quellen

  1. Heinemann, Dr. Klaus: "Privateigentum – ja oder nein?" Erschienen in: Heimatblätter für Geschichte, Kultur und Brauchtum im Kreis Soest. Jahrbuch 4. S. 89-92. Siehe Literaturverzeichnis.