Orgelgeschichte der evangelischen Kirche Meiningsen [1]

Daß die Orgel das bedeutendste Musikinstrument der Kirche ist, wird wohl von niemandem bestritten. Die Orgel ist noch heute das unersetzbare Begleitinstrument des Gemeindegesanges und gehört deshalb zur wichtigsten Ausstattung auch der kleinsten Dorfkirche. Allerdings täuschen wir uns, wenn wir annehmen, daß dies schon seit Bestehen der christlichen Kirchen in Mitteleuropa üblich war. Bis etwa 1600 diente die Orgel nur als Soloinstrument und war deshalb für die Durchführung der Gottesdienste und der Liturgie nicht notwendig. Bis zu dieser Zeit besaßen nur bedeutende und große Kathedralen, Klöster und Stadtkirchen Orgeln, die oft als sogenannte Schwalbennester an den Seitenwänden hingen, d. h. im Bereich der Gemeindekirche, und noch nicht das räumliche und klangliche Ausmaß unserer heutigen Orgeln hatten. Erst mit der Erfindung des Generalbasses um 1600, als mit Hilfe dieser Ziffernschrift auch Laienmusiker Harmonien leicht lesen und spielen konnten, übernahm die Orgel die Begleitung des Gemeindegesanges und wurde nun zum unentbehrlichen Musikinstrument der Liturgie.

Wenn man diesen historischen Hintergrund nicht aus dem Auge verliert, wird man kaum überrascht sein, daß die Orgelgeschichte der Kirche von Meiningsen erst verhältnismäßig spät beginnt. Obwohl die Kirche zu den ältesten Dorfkirchen des Soester Landes gehört, hat sie von ihrer Erbauung um 1100 bis ins 18. Jahrhundert mit großer Wahrscheinlichkeit keine Orgel besessen. Das erhaltene Archivmaterial erwähnt eine Orgel erst 1772, als der Lehramtskandidat Fernikel seine Wahl mit dem Argument durchdrücken will, dass er sich verpflichten würde, ein gantzes Jahr die Orgel umsonst zu schlagen. Dieses erste Instrument wird sicher eine kleine Orgel mit wenigen Registern gewesen sein. Genauere Nachrichten stammen aus dem Jahre 1875, als der Soester Seminarlehrer A. Vogt die alte Orgel begutachtet. Ihre Disposition zeigt ein spätbarockes Orgelwerk, wie es zu damaligen Zeiten in den westfälischen Dorfkirchen öfter zu finden war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war dieses Positiv allerdings in so schlechtem Zustand, daß alle Fachleute einen Neubau empfahlen.

Vogt nannte dann auch gleich einige Orgelbauer, die man zu Kostenanschlägen auffordern sollte: Schulze aus Paulinzella, Ibach in Barmen, Rohlfing in Osnabrück, Ladegast aus Weißenfels und Vogt aus Halberstadt, neben zwei einheimischen Orgelbauern also drei mitteldeutsche Baufirmen. Nur der Halberstädter Orgelbauer Vogt war von diesen Orgelbaumeistern in Westfalen unbekannt [2], die übrigen sind mit vielen Neubauten nachweisbar. Kostenanschläge sind nur von Ibach und Rohlfing erhalten. Da Lehrer Vogt Ibach als den besseren Orgelbauer empfahl, schloß die Gemeinde mit diesem Orgelbauer einen Kontrakt. Der damalige Firmeninhaber Richard Ibach (1813 - 1889), der zweite Sohn des Firmengründers Johann Adolph Ibach (1766 - 1848), hatte in Barmen 1876 eine neue Fabrik für Orgeln gebaut und arbeitete in den nächsten Jahren mit so großem Erfolg, daß er schon 1879 Filialen in Köln und London gründete. Er war als Orgelbauer international bekannt und lieferte Instrumente nach Frankreich, Spanien, Belgien, Afrika und Südamerika. [3]

Richard Ibach legte seinen Kostenanschlag vor, nachdem er die Kirche besichtigt und entschieden hatte, daß die neue Orgel an denselben Platz kommen sollte wie das alte Instrument: auf die damals schon vorhandene Westempore, die allerdings für das größere Orgelwerk zu klein war. Deshalb wurde für das Gebläse die Turmhalle mitbenutzt. Ibach legte zwei Entwürfe vor: ein einmanualiges Werk mit neun Registern und ein zweimanualiges Instrument mit 10 Registern, wobei er allerdings dringend empfahl, die größere Orgel zu nehmen, da sie für die Praxis besser geeignet sei. Das Presbyterium beschloß dann auch, die zweimanualige Orgel zu bestellen und zusätzlich noch ein Register bauen zu lassen (Salicional). Damit ergibt sich der Aufbau der Ibach-Orgel von 1877.

Ibach stellte die Orgel in den Monaten Juni/Juli 1877 auf und nahm die alte Orgel in Zahlung. Die Ibach-Orgel ist bis heute erhalten und soll nach gründlicher Überholung und Restaurierung wieder aufgebaut werden. In Westfalen besitzen wir nur noch wenige Instrumente dieser einst bedeutenden Werkstatt [4]. Deshalb besitzt die Meiningser Orgel einen großen historischen Wert, zumal das Instrument original erhalten ist und das wiederaufgefundene Quellenmaterial eine genaue Restaurierung sehr erleichtert [5].

Anmerkung: 1987 wurde die Meiningser Ibach-Orgel restauriert. Von Stefan Krüger stammt der interessante Bericht "Die Restaurierung der Meiningser Ibach-Orgel" [6]

Quellen und Hinweise

  1. Martin Blindow: Orgelgeschichte der ev. Kirche Meiningsen. Soester Zeitschrift Heft 97. S. 93-95. Siehe Literaturverzeichnis.
  2. Vogt ist nur 1864 mit einem Orgelbau in Dinker nachweisbar. R. Reuter, Orgeln in Westfalen, 1965 S. 92.
  3. Gisela Beer, Orgelbau Ibach Barmen (1794 - 1904), 1975.
  4. Erhalten sind die Ibach-Orgeln in der ev. Kirche Altena (1872) und der Schloßkapelle Rheda (1847). Die Rhedaer Orgel ist abgebaut und eingelagert.
    Anmerkung von Stefan Krüger: Laut Ibach-Verzeichnis gibt es mehr erhaltene Ibach-Orgeln als von Herrn Blindow angegeben. Nicht erwähnt wurde z. B. die vor einigen Jahren ebenfalls restaurierte und wesentlich größere Orgel in Halver, Nordrhein-Westfalen.
  5. Der Aufsatz stützt sich auf die Orgelakten des Archivs der ev. Kirchengemeinde Meiningsen. Im Inventar der westfälischen Orgeln wird die ev. Kirche Meiningsen nicht erwähnt. Vgl. R. Reuter, Orgeln in Westfalen, 1965. G. Beer, Orgelbau Ibach, kann nur das Instrument im Werkkatalog nachweisen ohne genauere Angaben. An der Orgel wurden nur zwei kleinere Eingriffe vorgenommen: 1917 mußten die Prospektpfeifen aus Zinn abgegeben werden. Sie wurden 1926 durch neue Zinkpfeifen von der Orgelbaufirma Carl Schwenzer aus Werl ersetzt. 1953 erhielt das Instrument durch den Orgelbauer Stockmann aus Werl einen Motor, wobei die Kanalanlage verlegt wurde.
  6. Stefan Krüger: Die Restaurierung der Meiningser Ibach-Orgel. Siehe Literaturverzeichnis.